Marktbericht: US-Investoren entdecken Europa

Bulle und Bär
15. Mai 2017

Die Anleger sind desillusioniert. Der US-Präsident hat kein überzeugendes Wirtschaftskonzept. Europas Börsen bieten sich als Alternative an.

Den Vertrauensvorschuss der Anleger hat Donald Trump mittlerweile verspielt, die anfängliche Euphorie über den neuen Mann im Weißen Haus ist in tiefe Skepsis umgeschlagen. Zwar machen einzelne Bausteine seines Wirtschaftsprogramms durchaus Sinn, wie etwa Deregulierungsvorhaben und Infrastrukturinvestitionen. Immer klarer aber wird: Das Programm als ganzes weist erhebliche Widersprüche auf. Die notwendige Präzisierung ist Trump bislang aber schuldig geblieben. Beispielsweise ist die Arbeitslosigkeit in den USA im April auf 4,4 Prozent gefallen – dem tiefsten Stand seit dem Jahr 2007. Hält der Trend an, werden US-Unternehmen zunehmend um Arbeitskräfte konkurrieren. Gehälter und in Folge die Inflationsrate dürften dann aber steigen. Der Lohndruck wird weiter zunehmen, sollte Trump seine Immigrationspolitik umsetzen. Die rund elf Millionen Illegale, die Trump ausweisen will, stellen einem Bericht des Pew Research Centers fünf Prozent der Erwerbstätigen. So schnell wird sich kein Ersatz finden lassen.

Zusätzliche Preiserhöhungen drohen, wenn Trump wie geplant Importgüter, insbesondere auf Autos und Elektronik, hoch besteuert. Die US-Notenbank könnte sich dann gezwungen sehen, den Leitzins schneller anzuheben als bislang gedacht. Das aber  wird Trumps Wählerklientel und schon gar nicht den Investoren gefallen. Auch weil US-Unternehmen dann deutlich weniger als bislang den Kapitalmarkt anzapfen und mit dem geliehenen Geld Aktien zurückkaufen werden.

Keine Zeit für Wirtschaft 

Aller Wahrscheinlichkeit hat Trump jedoch zumindest in den kommenden Wochen weniger Zeit, sich um sein Projekt „Make America great again“ zu kümmern. Der Wirbel um die Entlassung von FBI-Chef James Comey dürfte seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen und zwischenzeitlich die Kurse an der Wall Street auf Talfahrt schicken.

Gut möglich, dass US-Investoren wieder verstärkt Europas Börsen ins Visier nehmen. Wegen der antieuropäischen Stimmung hatten sie in den vergangenen Monaten ein Engagement gescheut. Mit dem Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen ist jedoch die Unsicherheit über die politische Zukunft der Eurozone wesentlich geringer geworden. Zudem nimmt die Wirtschaft in den Ländern der Gemeinschaftswährung Fahrt auf, auch sind die Aktienbewertungen im Vergleich zu US-Titeln günstiger.

Speziell für Frankreich gibt es die Chance, dass Emanuel Macron die verkrusteten Strukturen aufbricht, die das Wachstum und den Abbau der Arbeitslosigkeit bislang verhinderten. Kann Macron seine Vorhaben umsetzen, halten Experten Gewinnsteigerungen der Unternehmen von bis zu zehn Prozent für möglich. In ähnlicher Größenordnung dürften dann auch die Notierungen am französischen Aktienmarkt zulegen.

Zusätzliche Motivation für internationale Investoren Kapitalströme nach Europa zu lenken, könnte die Bundesregierung entfachen. Die jüngsten Steuerschätzungen eröffnen Spielräume für spürbare Entlastungen der Bürger und Unternehmen. Noch aber ist Finanzminister Schäuble dazu nicht bereit.  Vielleicht kann ihn aber Frankreichs neuer Präsident dazu ermutigen.

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